Adalbert Stifter 1867. Eine der letzten Fotografien.
Adalbert Stifter 1867. Eine der letzten Fotografien.
Foto von August Red
Das gehört zu den Rätseln des Schöpferischen. Stifter, der unmäßige Esser und Trinker, von Angst und Hypochondrie Gepeinigte, schuf in seinen Werken absurd disziplinierte, untadelige Helden. Die beseelt moralische Pose, die lange sein öffentliches Bild bestimmte, verbarg eine exzessive, labile Natur. Der Student verpaßte seine Prüfungen, verriet die angeblich geliebte Frau, heiratete eine andere, lebte über seine Verhältnisse, wurde gepfändet. Zeitweise wohnte seine tuberkulosekranke Schwägerin bei dem jungen Paar. Als sie einsam im Spital starb, meldete es sich vorsichtshalber nicht und überließ das Begräbnis der öffentlichen Hand. Gattin Amalie wird als schöne, wenig kultivierte, kalte Frau beschrieben. Einige Jahre beklagten die Eheleute, daß sie kinderlos blieben. Dann adoptierten sie Amalies verwaiste Nichte Juliane und hielten sie als Dienstbotin. Das Mädchen lief mit elf Jahren zum ersten Mal davon und ertrank

mit achtzehn in der Donau: „Ich gehe zu der Mutter in den großen Dienst.“ Unvermeidlich wurde das pädagogische Versagen des Oberschulrats in seiner Heimatstadt Gesprächsthema, was Stifter heftig zusetzte. Inzwischen litt er an einer Leberzirrhose, Folge jahrzehntelanger Alkohol- und Eßsucht. Fotografien aus dem letzten Jahr zeigen den vormals stattlichen Biedermeier-Star abgemagert, wie im Stupor ausdruckslos. Im Januar 1868, vierzehn Monate nach der Schneesturm-Krise, schnitt er sich mit einem Rasiermesser in die Kehle und starb einige Tage später.
P.M.

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